Wurstopfer. Von Melinda Nadj Abonji

Der 1. August ist nämlich hierzulande der Nationalfeiertag, es wird grilliert, Raketen werden abgefeuert, rot-weisse Girlanden zieren die Balkone – und was fällt mir dazu ein?

Dass wir auch grilliert haben, unsere Familie mit der Familie Rüegger am Rumensee, vor etlichen Jahren. Aber der Rumensee ist kein See, das müssen Sie wissen, sonst stellen Sie sich etwas Falsches vor, ein Tümpel also, grünlich-braunes Wasser, natürlich mit Enten, Blässhühnern und Fröschen zu gegebener Jahreszeit, Schilf, Seerosen (und einmal ein richtiger Pelz, Pelz und Tümpel, das geht gar nicht zusammen, der Rumensee, ein Ort, wo alle paar Jahrzehnte eine Reiche sich und ihr Elend im Wasser ertränkte), wir, damals, in bester Laune, weil 1. August war, was mir und unserer Familie in erster Linie einen freien Tag haben bedeutete.

Herr und Frau Rüegger hatten Fähnchen mitgebracht, die man ins Brot stecken konnte, und die Cervelat Wurst, sie musste an beiden Enden mit einem exakten Kreuz beschnitten werden, das zeigte uns Herr Rüegger, der die Wurst, den Fendant, die Brötchen, das Plastikgeschirr von seinem Versicherungs-Beamten-Geld bezahlt hatte und mithilfe seiner Frau – die er Lulu nannte – hatten wir gelernt, was eine „Hausfrau“ war, Lulu also hatte eingekauft, eine Familienpackung Pommes Chips, je zwei Cervelats für die Männer, je einen für die Frauen und die Kinder; ausserdem hatte sie eine Schüssel Hörnli-Salat vorbereitet und mit Alu-Folie abgedeckt, und meine Mutter lobte die Cornichons im Salat, die Silberzwiebeln, das Säuerliche, das dem Ganzen einen erfrischenden Geschmack gibt, vermutlich, um davon abzulenken, dass sie nie und nimmer kalten Nudelsalat machen würde (dann lieber ein Stück Brot und sonst nichts); aber heute, am Nationalfeiertag waren wir eingeladen, es gab keinen Grund mürrisch zu sein, Vergleiche anzustellen, die nirgend wohin führten, wir Kinder tranken Rivella rot, die Erwachsenen Fendant, und so wie es die Männer zu tun pflegen, haben auch Herr Rüegger und mein Vater Feuer gemacht, sie legten das Holz, das wir Kinder gesammelt hatten, bedächtig und aufmerksam zueinander (wie mir das immer auf die Nerven ging, dieses Feuer Getue: nein, das ist nicht das richtige Holz! das lange Warten, bis das Feuer kein Feuer mehr war, sondern endlich Glut) und: jetzt endlich konnten wir die Würste grillieren, einen Holzstecken mit beschnittener Wurst über die Glut halten. Und was dann geschah, ist die eigentliche Geschichte zum ersten August: Wir sassen und assen hungrig die Würste, dazwischen einen Bissen Brot, mein Vater, der plötzlich zu kauen aufhörte, meine Mutter anschaute, mit vollem oder halb vollem Mund, und es war nicht leicht zu erraten, was geschehen war, weil mein Vater nicht reden konnte oder wollte; er hatte einen Zahn verschluckt, einen seiner beiden vorderen Goldzähne und vermutlich fühlte er, dass da etwas anderes als ein Bissen Brot oder Wurst die Kehle runterrutschte, vielleicht stellte er sich auch vor, wie er aussehen würde, mit einem Goldzahn und einer Lücke. Komisch sah er aus, die Rüeggers lachten, wir alle lachten, als Vater den Mund aufmachte, und es war etwas im Lachen der Erwachsenen, das nicht mehr ganz anständig war, Lulus Tränen verschmierten ihre Schminke, Heinz, also Herr Rüegger, klopfte meinem Vater brüllend auf die Schulter, und mein Vater sagte etwas über den 1. August, auf Ungarisch, das an dieser Stelle unübersetzbar bleiben muss.