“100%”. Von Melinda Nadj Abonji

für zwei Stimmen

 

ich will das

ich will das da

sieht gut aus da

an mir sieht’s gut aus

es sieht natürlich aus an mir

100%

Baumwolle, ein Glücksfall

Made in Italy

Italien hat Tradition

Geschmack meinst du

Sinneskultur

Sonne und Lebensqualität

Genuss, Schönheit, ja du

sieht wirklich gut aus da

an mir wirkt’s légère

leggiero, die Italiener haben uns was voraus

Italien, ich komme

Venezia im Frühling, ein Traum

ein klassischer Schnitt

aber nicht langweilig

im Trend, aber nicht

sexy, aber nicht cheap

und das, was ist das da, beim Schlitz?

schau dir das an, schade

ich kann’s nicht lesen

aber sauschöne Schrift

chinesisch

oder japanisch

oder koreanisch

sagenhafte Schrift

eine Schriftkultur haben die!

schau mal, Made in Taiwan, Made in Italy

internationale Produktion

was meinst du, Schlitz in Taiwan?

(Gelächter)

die chinesische Mauer, mein alter Traum

oder jobben in Japan

oder ein Buddhist sein in

spottbillig das Kleid

25.90

zum Glück, ein Glückstag heute

sieht wirklich gut aus an mir

steht mir ausgezeichnet

ZU HAUSE IN DER FREMDE – VERSUCHE ZUR INTEGRATION.
Von Melinda Nadj Abonji.

Zu

Zu Hause

Zu Hause in

Zu Hause in der Fremde

Zu Hause in der Fremde – Versuche

Zu Hause in der Fremde – Versuche zur Integration

Ein Spiel, Sätze zu zerpflücken, um ihre vielfältigen Deutungsmöglichkeiten hörbar zu machen, oder schärfer formuliert: ein hintersinniges Spiel, weil die Satzikone, im Staccato gesprochen, einstürzt und ich in ihren Trümmern alles andere als Sicherheit und Klarheit vorfinde, die der Satzfluss gerade noch suggeriert hat. Die Frage der Perspektive aber stellt sich mir unverrückbar: Von welchem Standpunkt soll ich erzählen? Soll ich überhaupt erzählen? Legt dieser subjektlose, verbfreie Titel nicht nahe, dass berichtet wird, über jene, die in einem fremden Land zu Hause sind und sich zu integrieren versuchen? Oder heisst “Versuche zur Integration”, dass man etwas über die Einheimischen erfahren wird, die sie, die Fremden, zu integrieren versuchen? Die Bedeutungs-Unschärfe oder Deutungsvielfalt des Satzes ist typisch für Sätze, die kein Subjekt und kein Verb haben, dafür gespickt sind mit Begriffen, die emotional aufgeladen sind und einander schmerzhaft bis feindlich oder zumindest etwas wehmütig gegenüberstehen wie “zu Hause” und “Fremde”.

Der Begriff “Integration” schliesslich ist genauso unscharf (wie eben die meisten Begriffe, die im politischen Diskurs in Schwung gehalten werden), der Begriff birgt aber, wie Mark Terkessidis in seinem Buch “Interkultur” treffend formuliert hat, stets eine negative Diagnose: “Es gibt Probleme, und die werden verursacht durch die Defizite von bestimmten Personen, die wiederum bestimmten Gruppen angehören. Der Ausgangspunkt ist dabei immer die Gesellschaft, wie sie sein soll, und nicht die Gesellschaft, wie sie ist.”

Lassen Sie mich also nochmals anfangen und in den Titel meines Essays meine Person und ein Verb einfügen.

“Zu Hause bin ich in der Fremde – Versuche zur Integration”, und ich beginne mit einer kleinen Geschichte.

Du bist ein Baum – woher kommst du?

Im Kindergarten hatte ich eine liebenswürdige Lehrerin: sie hat mich als Tannenbaum verkleidet, eine braune Hose, ein dunkelgrüner Filzhut für den Kopf, vermutlich hat sie auch mein Gesicht grün geschminkt, ich sollte eine Rolle haben, im Schneewittchen, und zwar als Tannenbaum, ich stand da und sah den Zwergen zu und natürlich dem schönen Schneewittchen, aber was anderes als ein Tannenbaum hätte ich sein sollen, da ich kein Deutsch, sondern “nur” Ungarisch sprach? Meine Lehrerin versuchte mich zu integrieren, ins Spiel, wie man heute sagen würde, und ich? Ich schämte mich in meinem Baumkostüm, schämte mich für meine Stummheit, dafür, dass ich bloss dastand, was in meiner Erinnerung eine Ewigkeit dauerte, aber den Unterschied hatte ich ziemlich genau begriffen, zwischen den Zwergen, dem Schneewittchen und dem Baum. Ich weiss auch nicht mehr, ob es noch andere Bäume gab; ich jedenfalls stand einen Baum, und diese kleine Geschichte, die fast schon eine lustige Anekdote geworden ist, ist meine erste Erinnerung daran, dass ich mich ausgeschlossen fühlte, und ironischerweise wurde dieses Gefühl von Ausgeschlossensein von einer Lehrerin herbeigeführt, die ganz bestimmt eine gegenteilige Absicht hatte.

Ziemlich sicher hatte ich als fünfjähriges Kind nur einen brennenden Wunsch, nämlich den, so zu sein wie alle anderen; ich wollte nicht unbedingt Schneewittchen sein, aber doch ein Zwerg. Ausserdem wollte ich um nichts in der Welt die weisse, an den Ärmeln und am Kragen farbig bestickte Bluse tragen; ich wehrte mich also gegen folkloristische Kleidung, nicht nur, weil die anderen nichts derartiges trugen (und das habe ich schon im Kindergarten registriert, als das Tragen der “richtigen” und “falschen” Kleider noch nicht Teil der Hackordnung war), sondern, weil ich merkte, wie wichtig diese Staffage für meine Eltern war.

Damals hätte ich es zwar sprachlich nicht fassen können, aber trotzdem wusste ich genau, dass der Unterschied zwischen Baum und ungarischem Bauernmädchen nur ein geringer war, dass beide das Produkt waren von Bemühungen, “etwas” aus mir zu machen, das ich nicht sein wollte. Vielleicht war das der Grund, dass ich an meinem ersten Fasching in der Schweiz meine Umwelt zumindest leicht irritierte: ich verkleidete mich in eigener Regie, stopfte mir ein voluminöses Kissen unter ein langes, rotes Gewand, setzte mir eine Krone auf, verbarg mein Gesicht unter der Maske einer alten Frau, und mein Accessoire war ein Staubwedel, und auf die Frage meiner Mutter, wer ich denn sei, zuckte ich bloss mit den Schultern.

Einen ähnlichen, ausschliessenden Effekt hatten später Fragen wie “woher kommst du?”Diese Frage wurde mir meistens gestellt, wenn jemand meinen Namen geschrieben sah oder ich meinen Familiennamen nennen musste – die Frage nach dem Namen und der Herkunft sind die ersten Fragen eines Verhörs, das habe ich spätestens nach der Lektüre von Elias Canettis Masse und Macht begriffen -, und ich sah oft in erstaunte Gesichter, wenn ich verraten hatte, woher ich kam, aus Jugoslawien?

Wenn ich nun differenziert von meiner Herkunft zu erzählen anfing, dass ich nämlich aus der Vojvodina stammte und dass in diesem Gebiet, das die Kornkammer Serbiens genannt wurde, zahlreiche Volksgruppen lebten, nämlich Serben, Slowaken, Kroaten, Ruthenen, Rumänen, Bunjewatzen, Schokatzen, Sinti und Roma, Deutsche, Bulgaren und ausserdem Ungarn, zu deren Volksgruppe meine Familie gehörte, wenn ich nun das Stichwort “Ungarn” und “ungarische Muttersprache” geliefert habe, entspannte sich das Gesicht meines Gegenübers und in meinem Gesicht wurden die breiten Wangenknochen erkannt, in meinen Adern musste feuriges Blut fliessen, mein Gegenüber schwärmte von der Puszta, überhörte mit einer anmutigen Penetranz, dass ich weder die Puszta kannte noch die tollen Thermalbäder in Budapest, sein Ohr war taub für die Tatsache, dass das kommunistische Regime in Ungarn mit dem sozialistischen in Jugoslawien nur in beschränktem Masse vergleichbar war.

Worauf ich hinaus will: die Frage nach der Herkunft ist sehr oft ein paternalistischer Akt. Der Fragende bindet den Befragten an das Land seiner Herkunft, wobei die Differenzierung keinen Platz hat, es soll nicht zu kompliziert sein, und ein vertraut erscheinendes Stichwort ist Anlass genug, um die Bilderwand im eigenen Kopf zu bestätigen. Habe ich die Frage “woher kommst du” mit “aus Zürich, aus dem Kreis 4” beantwortet, dann wurde oft lachend nachgehakt, “ja schon, aber woher kommst du ursprünglich?”

Ursprünglich war ich in einem winzigen, weissen Haus mit Dachboden, Innenhof, Hühner- und Schweinestall, Miststock und Garten zu Hause; meine Herkunft ist an meine Grossmutter geknüpft, eng und unauflösbar, und als ich zu meinen Eltern in die Schweiz gekommen bin, habe ich nicht Jugoslawien verlassen oder Zenta, sondern meine Grossmutter, ihr Haus und ihre Lebenswelt. Das ist die korrekte Antwort auf die Frage nach meiner ursprünglichen Herkunft. So konnte ich aber erst antworten, nachdem ich meinen Roman “Tauben fliegen auf” geschrieben hatte; so klein und konkret kann man erst antworten, wenn man sich eine Sache grundsätzlich überlegt hat. Ich war, um es nochmals zu betonen, von meiner Grossmutter geprägt, von der Art, wie sie kochte, wie sie Brot abschnitt, das Wort “Haus” – “ház” bedeutete ihr Haus, ein ebenerdiges Haus mit einem grossen Korridor, in dem wir die Suppeneinlagen zum Trocknen auslegten, und zum Haus meiner Grossmutter gehörte ein Innenhof, das Wort “Haus”, also “ház”, war insofern untrennbar mit einem Innenhof verbunden (ein Haus, das sich nach innen öffnet, wie Klaus Merz es in seinem Gedicht “Grenznah” so wunderbar formuliert hat).

Wozu erzähle ich Ihnen das? Weil ich Ihnen zeigen möchte, was der Satz “zu Hause in der Fremde” für mich als kleiner Mensch bedeutete, damals, als ich noch nichts von Nationen und Grenzen wusste. Womöglich kannte ich die Wörter “Jugoslawien” und “Schweiz” bereits, aber sie hatten keine Bedeutung, sie waren leer. Sehr konkret hingegen war – neben der Erfahrung, dass ich mich eine ganze Weile nicht verständigen konnte –, dass die schweizerdeutschen Wörter nichts mit den ungarischen Wörtern zu tun hatten: das schweizerdeutsche Haus war mehrstöckig, hatte einen Vorplatz, und in den Treppenhäusern waren rote Blumen mit Blättern, die sich pelzig anfühlten, auf Fenstersimsen aufgereiht; vor allem aber war das schweizerdeutsche Haus ausgehöhlt, und diese Höhle, in der die Autos standen, wurde “Garage” genannt.

Aus heutiger Perspektive habe ich also damals die Erfahrung gemacht, dass man die Wörter nicht übersetzen kann; “ház” wurde zwar mit “Haus” übersetzt, aber das, was “ház” ausmachte, fehlte beim “Haus”. Natürlich hätte ich auch sehen und empfinden können, was “ház” und “Haus” miteinander teilten: ein Dach, die Fenster und Türen, Wohnräume. Aber die Unterschiede waren für mich offenbar bedeutender.

Lesen, Glücksdeutsch

In der Primarschule lernte ich, mithilfe eines Setzkastens, schreiben. Ich fügte die verlangten hochdeutschen Wörter zusammen, mit erstaunlicher Leichtigkeit, konnte sie aber dann nicht lesen, und meine Lehrerin stand vor einem Rätsel. Und nicht nur sie. Ich kann es mir heute noch nicht erklären, weshalb ich mit einer Verzögerung von mindestens einem halben Jahr zu lesen angefangen habe. Aber als ich es endlich konnte, habe ich gelesen, gelesen und nicht mehr aufgehört. In der Dorfbibliothek lieh ich mir die Bücher aus und fing an, mich auf Hochdeutsch mit mir zu unterhalten. Hochdeutsch gefiel mir, es war die Sprache der Bücher, und ich tauchte ein in eine gänzlich neue Welt, die nur mir gehörte. Die ungarischen Wörter mussten sich zu Hause bewähren und bewahrheiten: mit meinen Eltern und Geschwistern sprach ich Ungarisch; im Alltag ausserhalb der Familie war das Schweizerdeutsche gefragt. Hochdeutsch aber war ein offenes Feld. Es schien in meinem Kopf zu entstehen, beflügelte meine Phantasie (ein Wort wie “murmeln” beispielsweise), und dass ein Teil des Schulunterrichts auf Hochdeutsch abgehalten wurde, störte mich nicht, im Gegenteil: ich fühlte die Scham meiner Mitschülerinnen und Mitschüler, Hochdeutsch zu sprechen. Intuitiv merkte ich wahrscheinlich, dass sie jetzt eine neue Sprache lernten, eine Erfahrung, die ich schon hinter mir hatte.

Hochdeutsch war demzufolge mein grosses Glück, in dieser Sprache konnte ich nochmals neu anfangen, und ich vermute, dass ich in dieser Zeit, während der zweiten oder dritten Klasse, auch die Gemeinsamkeiten der Sprachen empfinden konnte.

Zwischenstopp: der Satz “zu Hause bin ich in der Fremde” hat zunächst einmal nichts mit mir zu tun, sondern mit den anderen, die mich als Fremde haben wollen. Der Versuch, anzukommen, da zu sein, wo man ist, wird mit der ständigen Rückbindung an das Land, das man verlassen hat, erschwert. Die Erzählung, dass man gar nicht an ein Land gebunden ist, sondern an eine Person und deren Lebenswelt, ist eine Realität, die dem Mythos des Volkes und der Nation nicht dienlich ist, aber zumindest der Wirklichkeit meiner Geschichte nahe kommt. Als ich in die Schweiz kam, hatte ich meine Lebenswirklichkeit verloren, und wichtiger, integraler Bestandteil dieses Verlustes war jener der ungarischen Sprache. Von einem stummen Kind verwandelte ich mich dann in ein lesendes, das Erlernen des Hochdeutschen, der Sprache der Bücher, war ein wichtiger Einschnitt in meinem Leben: ich hatte eine Sprache gefunden, die mich beflügelte. Und wahrscheinlich war das Hochdeutsche dafür verantwortlich, dass ich anfing, mich zu Hause zu fühlen.

Alice im Wunderland

Von der vierten bis zur sechsten Primarschule hatte ich einen Lehrer, dessen Lieblingsspiel das folgende war: er stellte eine Rechenaufgabe. Wenn man die Lösung nicht wusste, musste man aufstehen, wenn man die Lösung beim zweiten Mal auch nicht wusste, musste man sich auf den Stuhl stellen und schliesslich, beim dritten Mal, auf den Tisch. Es waren immer dieselben Schüler, die am Schluss auf dem Tisch standen, schämt euch, sagte der Lehrer. Manchmal schlug er auch zu. Der Lehrer hatte einen guten Ruf, er galt als “streng”, und ich hatte Glück, weil ich seine nach rechts drängende Schrift fast perfekt imitieren konnte – es machte ihn rasend, wenn man anders schrieb als er – und weil ich zu den Besten der Klasse gehörte. Der Lehrer riet meinen Eltern trotzdem, mich nicht aufs Gymnasium zu schicken, ich sei noch zu klein, so argumentierte er. Ich war tatsächlich die Kleinste der Klasse. Die Schülerinnen und Schüler, die seiner Meinung nach reif genug waren fürs Gymnasium, stammten alle aus reichem Haus, und der Lehrer bereitete sie in Extrastunden auf die Übertrittsprüfung vor. Für mich war dennoch klar, dass ich die Prüfung wenigstens versuchen wollte, und ich traf mich zum Lernen mit einer Schulfreundin – übrigens die Grösste der Klasse –, welche vom Lehrer auch nicht für förderungswürdig gehalten wurde; sie hatte ein hohles Kreuz, so wie er, und ihre Mutter war geschieden, eine Tatsache, auf die der Lehrer in Schulstunden immer wieder hinwies.

Als ich irgendwann später eine Stelle aus “Alice im Wunderland” las, kam es mir so vor, als würde mir jemand in wenigen Sätzen erklären, was die Essenz dieser drei Schuljahre gewesen war: “Wenn ich ein Wort verwende”, sagte Humpty-Dumpty, ziemlich von oben herab, “dann hat es genau die Bedeutung, die ich ihm gebe. Nicht mehr und nicht weniger.” “Die Frage ist nur”, sagte Alice, “ob du Wörtern die Bedeutung von so vielen verschiedenen Dingen geben kannst.” “Die Frage ist”, sagte Humpty-Dumpty, “wer der Herr sein soll. Das ist alles.”

Warum sind Kinder ausländischer Familien an Gymnasien immer noch eine Seltenheit? Die Einwanderer kümmerten sich nicht um die Bildungschancen ihrer Kinder, so heisst eine gängige Antwort. Gerade die Familien, die kulturell benachteiligt und Opfer der sozialen Ungleichheit sind, glaubten am stärksten daran, dass Begabung und Tüchtigkeit die einzig Ausschlag gebenden Faktoren für den Schulerfolg seien, schreibt der Soziologe Pierre Bourdieu – was sicher nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass in der Institution Schule immer noch zahlreiche Ausgrenzungen stattfinden. Kinder, die sprachliche Schwierigkeiten haben, werden gerade von Lehrpersonen, die mit Mehrsprachigkeit keine Erfahrungen haben, oft als dumm und unbegabt abgestempelt – und manche Lehrer scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, dass jedes Fach sprachlich vermittelt wird. Eltern, die in der Gesellschaft privilegierte Positionen haben, treten gegenüber einer Lehrperson selbstbewusst auf, wogegen nichts einzuwenden ist, ausser, wenn es die Lehrperson derart beeinflusst, dass sie das betreffende Kind in der Folge anders behandelt.

Obwohl ich nicht zur richtigen und wichtigen Schicht gehörte, wurde aus mir eine Gymnasiastin, und zwar eine, die sich mittlerweile darüber im Klaren zu sein schien, dass sie “von woanders” herkam, und meine beste Freundin war Griechin. Nach der Matura würden wir beide in unsere Heimat zurückkehren; meine Freundin hatte sich in Griechenland verliebt, sie würde also einen Griechen heiraten und mit ihm, wie sie mir versicherte, mindestens fünf Kinder haben. Mein damaliger Freund war ein Schweizer, ein Adoptivkind aus Sizilien, was mich aber nicht weiter beschäftigte. Ob nun mit ihm oder ohne ihn: ich würde mit achtzehn in die Vojvodina zurückkehren und meiner Freundin Briefe schreiben. Wir hatten etwas vor, das sich von den Plänen unserer Mitschüler fundamental unterschied, die nämlich wollten in die Welt hinaus, um beruflich weiterzukommen. Wir wollten zurück in die Welt unserer Kindheit, und wenn uns jemand gefragt hätte, was wir denn da tun würden, hätten wir vermutlich geantwortet: leben.

Diese nebulöse Vorstellung vom anderen Leben; sie war plötzlich da und bei mir vielleicht nur deshalb, weil ich meine Eltern damit irritieren konnte. Auf die Art und Weise gab ich ihnen nämlich zu verstehen, dass ich ihren damaligen Entschluss, aus Jugoslawien auszuwandern, zumindest in Frage stellte; hätten sie zu jenen Ausländern gehört, die als “Gastarbeiter” nur darauf hin arbeiteten, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, wären sie vermutlich stolz auf meinen Plan gewesen.

Nun könnte der Eindruck entstanden sein, dass meine Freundin und ich uns als Exotinnen stilisierten. So war es aber nicht, im Gegenteil: wir fügten uns unauffällig ins Klassengefüge, waren beliebt, gehörten bei Gruppenspielen zu den erstgewählten, wir lasen Kafka und waren fix, wenn es darum ging, die Zunge an angesagte Wörter zu gewöhnen wie “fuck”, “geil”, “Stresschopf”, und manchmal war es meine Freundin oder ich, die ein neues Wort auf die Umlaufbahn schickte, “ist das nicht mad?”, sagte die eine und die andere setzte die richtige Miene auf, “doch, das ist absolut mad!”

Nur wenn wir zu zweit waren, änderten sich unsere Themen: wir assen zwar gefüllte Weinblätter oder gefüllte Paprika und träumten uns in unsere Heimatländer, aber viel wichtiger war, dass aus uns eine Art Selbsthilfegruppe im Kleinstformat wurde, das heisst, wir beratschlagten uns sehr konkret über unsere Alltagsprobleme: beispielsweise über die Schwierigkeit, mit unseren Eltern zu streiten, da die gemeinsame Sprache fehlte; über banale, rassistische Äusserungen tauschten wir uns aus; über unsere Funktion als Übersetzerinnen, wenn es um amtliche Briefe ging, die an unsere Eltern gerichtet waren und die auch für uns schwer verständlich waren etc. etc.

Allein dieser Austausch wies schon darauf hin, dass wir mitten drin steckten, in unserem Leben in der Schweiz nämlich, und so wurden wir achtzehn, und es geschah nichts weiter, ausser dass wir uns an der Zürcher Universität einschrieben, an der Philosophischen Fakultät I.

Sprachexplosionen – sich absetzen vom Vertrauten

Plötzlich tauchte das Schreiben auf. Ich hielt mich damals, gerade fünfundzwanzig geworden, in Graz auf, hatte ein Forschungsstipendium am Franz Nabl Literaturinstitut. Es war Hochsommer und ich einsam; die Stadt, vor allem aber das Institut, wirkten auf mich wie ausgestorben. An einem Nachmittag lag ich rücklings im Freibad, gab mich in schläfriger Aufmerksamkeit meiner Umgebung hin. Dann ereignete sich das, was man den Stein des Anstosses nennen könnte: Ein kleiner Junge schubste mich, sprach mich ganz selbstverständlich an, komm schon, wir tauchen! Ich war ziemlich irritiert, ich kannte den Jungen ja nicht, niemanden, wochenlang hatte ich nur mit der Wurstverkäuferin ein paar Worte gewechselt. Doch bevor ich lange nachdenken konnte, war der Junge ins Wasser gesprungen, spritzte in meine Richtung, in seinen Augen war so viel Lebendigkeit, dass ich mich unmöglich weigern konnte. Am gleichen Abend schrieb ich wie von selbst ein paar Zeilen auf, berührt von dieser Kinderseele, die mich eingeladen hatte, an ihrer Welt teilzuhaben.

Während meinen Lizentiatsprüfungen, vier Jahre später, packte mich dann eine fiebrige Schreiblust, aus Wut über die schulisch-bieder abgehaltenen Prüfungen und die Noten, die plötzlich wieder verteilt wurden: ich wachte auf, hatte Wörter auf der Zunge wie “Glücksschere”, ich stand auf, schrieb kurze Geschichten, eine mit dem Titel “der Mann ohne Hals”. Ich verballhornte wissenschaftliche Begriffe; im Namen des “Fluchtforschers Paul Plan” und der “Stabilitätstheoretikerin Nana Wennschon” schrieb ich den Prüfungsexperten und Professoren einen Brief, in dem ich die Qualität der jeweiligen Prüfungssituation einer grotesk-surrealen Bewertung unterzog, was mir bei einem telegenen Professor den Titel “Miesmacherin” eintrug. Ich jedenfalls fühlte mich mit meinen Sprachexperimenten als Solo-Aktivistin, ich wollte mich absetzen von Floskeln, Sprachschablonen und schulte mein Ohr für alle Zwischentöne des gesellschaftlich etablierten Kulturschutts. Bei der Besprechung meiner Lizentiatsarbeit sagte mir Herbert Gamper, einer der wenigen, die ich an der Uni respektierte, dass meine Arbeit keine wissenschaftliche sei, ich solle schreiben, meine Lizentiatsarbeit sei in weiten Teilen literarisch geschrieben.

Fremd gehen – mit der Sprache

Die Frage nach meiner Herkunft habe ich in jüngster Vergangenheit mit “eine ungarische Serbin, die in der Schweiz lebt”, beantwortet. Diese Bezeichnung ist so präzise, dass sie in Bezug auf nationalstaatliche Einengungen unüberhörbar ironisch ist, sprachlich jedoch ist sie ein Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit und, um noch ein bisschen weiter zu gehen, ein Bekenntnis zur Vielstimmigkeit, die ich in meinem letzten Roman herauszuarbeiten versucht habe.

Mit Leidenschaft habe ich ungarische Redewendungen ins Deutsche übertragen. Schlechte Laune haben heisst dann, der Tag muss heute ohne mich auskommen, oder: heute habe ich die Laune eines alten Hundes.

Bei Marieluise Fleissers Prosa war von bayrischer Diktion die Rede, mir würde gefallen, wenn man, in Analogie dazu, bei meiner Prosa von Jugo-Diktion und finno-ugrischer Diktion, von mehrsprachiger Polyphonie spräche; mir ist daran gelegen, dass man meine Figuren hört, wie sie sprechen, egal, wo sie herkommen. Es scheint mir nichts als logisch zu sein, dass ich als Dichterin den Leuten auf Maul schaue, und ich freue mich, wenn ich spitzmäulige Münder sehe, die “Chrüsimüsi” sagen oder “chrümschele”. Ich habe auch keinen Schweissausbruch allein wegen der Tatsache, dass man im Hochdeutschen “Gemüse putzen” und nicht “Gemüse rüsten” sagt. Wegen meinem österreichischen Verlag haben sich sogar ein paar österreichische Wendungen in meinen Text geschlichen: die Toilette ist “angeschissen” und nicht “verschissen”, und dies allein aus dem Grund, weil mir die “österreichische Art” diese Tatsache auszudrücken, plastischer und insofern besser erschien.

Trotz meinem Interesse am mündlichen Ausdruck, an der Figurenrede, habe ich eine Kunstsprache kreiert, nicht zuletzt auch deshalb, weil ich nicht weiss, wie ich das Stammeln, mehrfach abgebrochene Sätze, und vor allem das Schweigen und rollende Augen aufs Papier bringen soll.

Als Kunstsprachliebende klopfe ich nun Wörter ab – warum sollen Begriffe wie “Balkankrieg” fraglos existieren, als gehörte Balkan und Krieg fast schon auf eine natürliche Art zusammen. Ich schreibe Sätze wie “ich ärgere mich, über sie, die ich bin”, und man könnte schlussfolgern, dass ich mit dieser Art von Sprachbewegung einen Entfremdungsprozess auf den Punkt bringe.

Es liegt also auf der Hand, dass mich Begriffe wie “Helvetismus”, “Austriazismus” etc. mehr als irritieren. Ich habe nämlich kein Sprachideal (ausser vielleicht, dass es schön ist, beglückend, wenn Sprache, das Sprechen, hartnäckiges Schweigen durchbricht). Ich bin zugegebenermassen mehr als vorsichtig, wenn man eine sprachliche Klassengesellschaft herstellen möchte – immer noch! –, ich habe nichts übrig für eine deutsche Sprachleitkultur, ich liebe, wie schon gesagt, Färbungen, Tonalitäten. Dein Deutsch klingt wie Ungarisch und untergründig höre ich eine schweizerdeutsche Melodie, sagte meine Schwester über mein Schreiben, und das habe ich als Kompliment verstanden.

Migration, Fremdsein, Anpassung, Integration – das sind alles Begriffe, die ich in meinem Text gar nicht oder nie unkommentiert gebraucht habe. In der Rezeption des Romans tauchen sie sehr häufig auf.

Zum Abschluss: der Stuhl sieht uns

Ich plädiere nicht nur für eine sprachliche Polyphonie, sondern auch für eine Gesellschaft, die deren Vielfalt anerkennt. Ich distanziere mich vom Begriff “Integration” und von altbackenen Integrationskonzepten, die eine Anpassungsleistung der ausländischen Bevölkerung an die einheimische verlangen; die defizitär abgestempelten Ausländer sollen Sprachkurse besuchen, sich schulen im Wissen um “einheimische Werte”. Hierbei ist natürlich unklar, wo gerade der perfekte Durchschnittsdeutsche rumspaziert, der dem patriarchalen, ausländischen Vater zum idealen Vorbild gereicht. Migrationskinder sind per definitionem prügelnde Jungs oder passive, Kopftuch tragende Mädchen, wenn sie nicht bilinguale Kinder sind, die “unsere Gesellschaft” bereichern, wie neulich eine Schweizer Wochenzeitung titelte und damit einmal mehr, auch wenn es positiv gemeint war, die Differenz zwischen einem “wir” und den “anderen” festgeschrieben hat. “Unsere Gesellschaft” existiert nicht und hat noch nie existiert, davon gehe ich aus, und dass in der Schweiz, einem international verflochtenen Kleinstaat, eine straff organisierte, Ressentiments schürende Truppe den Ton angibt, Ressentiments gegen die Ausländer schürt (jüngstes, sprechendes Beispiel: die “Ausschaffungsinitiative”) und dabei demokratische Grundwerte aushöhlt – das ist alles andere als beruhigend, und dabei ist die Schweiz nur ein Beispiel für die gegenwärtigen Ideologen, die rückwärts in die Zukunft rennen wollen.

Lese ich den Satz “zu Hause in der Fremde” schliesslich nochmals, mit einer kleinen Pause, dann wird dem “zu Hause” umgehend das “Fremde” nahe gelegt, benachbart: das eigene zu Hause wird ein fremder Ort. Ist das möglich, denkbar, nachdem man doch alle Möbel kennt, die Küchengeräte, die Menschen, die im eigenen zu Hause ein- und ausgehen. Kennt man sich selber, in den eigenen vier Wänden, wie man so schön sagt, kennt man sich selber, wie man den Besen schwingt, ein Ei aufschlägt, spürt man seine Beine jeden Tag gleich an dem Ort, den man so gut zu kennen scheint?

Und wenn ich mit meinem kleinen Sohn durchs dunkle Schlafzimmer husche und er zu mir sagt: Komm Mami, schnell, der Stuhl sieht uns!, dann lache ich spontan, bin im zweiten Moment irritiert über die vollkommene Selbstverständlichkeit, mit der mein Kind dem Stuhl zutraut, uns zu sehen, doch drittens führt es mich ganz nahe zu dem, was eben in diesem Halbsatz, “zu Hause in der Fremde”, mit einer kleinen Pause gesprochen, drin steckt, nämlich zur Möglichkeit, dass man sich in der eigenen Wohngegend nicht mehr auskennt –, Kinder führen uns sehr ernsthaft und verspielt in einem die eigene Wohnung neu vor, in der alles beseelt erscheint, die Verben springen über, bevölkern nicht mehr nur das Reservat des Menschen: der Stuhl sieht, das Fenster schläft, der Wasserhahn weint, die Lampe lämpelt (Verben werden pausenlos generiert, um dieses komplexe Gebiet zu benennen), die Luft stellt alle Werkzeuge bereit, die fürs hingebungsvolle Spiel notwendig sind, eine imaginäre Linie auf dem Holzboden markiert die Grenze zwischen Strand und Meer etc. etc.

Natürlich, es ist eine Reise, auf die mich der kleine Mensch wieder einmal mitnimmt, die Einladung, die Dinge neu zu entdecken, sie von der Last des Vertrauten zu befreien, und ganz unerwartet bin ich damit bei der Etymologie des Wortes “fremd” angekommen: fremd ist eine Adjektivbildung zum Germanischen fram-, und bedeutet “fern von”, “weg von”, heute noch präsent im Englischen “from”. Durch die Etymologie des Wortes “fremd” wird einsehbar, dass nur die erste Bedeutung “fern von” konkrete, geografische Orte impliziert, nicht aber “weg von”, das in meinem Verständnis eine Bewegung zum Ausdruck bringt. Nicht “abweichend vom Vertrauten”, sondern “weg vom Vertrauten” heisst “fremd” also ohne die moralische Wertung. “Weg vom Vertrauten” – eine Bewegung, die ich beim Schreiben als elementar empfinde, um überhaupt ein anderes Seelengebiet als das eigene zu erkunden; mit der Sprache gehe ich fremd, um die Vielstimmigkeit der Figuren hörbar zu machen.

In: Sprache im Technischen Zeitalter. Hg. v. Norbert Miller und Joachim Sartorius . Heft Nr. 198. Juni 2011.

Heimat

1. WAS BEDEUTET HEIMAT FÜR SIE?

Die Atmosphäre meiner Kindheit.

2. GLAUBEN SIE, DASS EIN MENSCH MEHRERE HEIMATEN HABEN KANN?

Da mein Begriff von Heimat für eine kollektive Mystifizierung nicht taugt, muss ich ihn auch nicht pluralisieren, um der einseitigen, national-territorialen Auslegung des Begriffs zu entgehen. Heimat ist singulär, einzelmenschlich, meine Heimat.

3. KANN MAN AUS EINER HEIMAT WEGGEHEN UND SIE TROTZDEM IN SICH TRAGEN?

Ich habe mein Heimatland verlassen. Meine Heimat suche ich immer wieder auf, bemühe mich um sie, im Schreiben und in der Musik. Ich trage die unermüdliche Sehnsucht nach Verständigung in mir.

4. WELCHE DINGE, GERÜCHE, KLÄNGE ETC. VERBINDEN SIE SELBER MIT DEM BEGRIFF HEIMAT?

Den weichen Singsang meiner Grossmutter, das nächtliche Gequake der Frösche, die Schweine, wenn sie aus ihren Schweinchenaugen blinzeln, das aufgeregte Gegacker eines Huhnes, bevor es geschlachtet wird. Die Nachtviolen, die Aprikosenrosen. Derbe Flüche. Die unerbittliche Sommersonne und dazu der Geruch nach gedünsteten Zwiebeln. Meinen strengen Onkel, der plötzlich aufsteht und tanzt…

5. GIBT ES EINE HEIMAT, DIE SIE SICH WÜNSCHEN WÜRDEN?

Meine Utopie ist einfach und konkret: in meiner zukünftigen Heimat soll es Luft und Wasser geben, damit alles weitere weiterhin möglich bleibt.

6. SIND SIE IN DER SCHWEIZ ZUHAUSE ODER EHER DAHEIM?

Ich lebe in der Schweiz, mit einem Teil meiner Familie, meinen Freundinnen und Freunden. Wir sind, wie man heute so schön abschätzig sagt, eine richtige Multi Kulti Gemeinschaft.

7. “HOME IS WHERE THE HEART IS” SAGT MAN IM ENGLISCHEN. STIMMEN SIE DEM ZU?

Ich habe mein Herz nicht verloren. Sun Ra hat den Satz Space is the Place geprägt und für das vorliegende Thema lege ich ihn so aus: das Universum bietet genügend Platz, die Heimat jedes Einzelnen zu sein.

©interview with Melinda Nadj Abonji, 2009, never published.

Zwei Ausschnitte aus “Elf Thesen über Bach”. Von Sreten.

Jean-Luc Godard sagt: „Durch Kunst ist es uns möglich, uns umzudrehen und Sodom und Gomorrha zu sehen, ohne daran zu sterben.
“ Wenn jemand fragt: na gut, das mag etwas mit Serbien zu tun haben, aber was hat es mit Bach und den Deutschen zu tun, heute, im Jahre zweitausendelf nach Christus? Eine diplomatische Antwort könnte lauten: Liebe Deutsche, Österreicher, Schweizer und andere Deutschsprachige, die zeitgenössische Literatur aus Serbien macht es euch möglich, euch umzudrehen und Sodom und Gomorrha zu sehen, ohne daran zu sterben. Euch selbst zu sehen und besser zu verstehen, ohne daran zu sterben. Wie uns bereits seit Hamlet bekannt ist, dass jedes Land ein bisschen Dänemark ist, so zeigt uns die zeitgenössische Literatur aus Serbien, dass jedes Land ein bisschen auch Serbien ist. Serbien sehen und verstehen, wie die Dinge liegen, und am Leben bleiben. Aber in erster Linie muss es natürlich heißen: Liebe Bürger Serbiens und aller Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, durch die zeitgenössische Literatur aus Serbien ist es euch möglich, euch umzudrehen und Sodom und Gomorrha zu sehen, ohne daran zu sterben. In jedem Serbien steckt ein bisschen Serbien drin. In jedem Dänemark steckt ein bisschen Dänemark drin. So wie in jedem Witz ein bisschen Witz drinsteckt. So wie an jeder Wahrheit etwas Wahres dran ist.

Der ästhetische und der ethische Standpunkt sind zwei Gesichter, zwei Aussagen, zwei Formen der gleichen Macht, der gleichen Kompetenz: Das ist, in der Sprache Kants, die Macht des interesselosen Urteils. Was haben Gewissen, Denken, Wissenschaft und Kunst gemeinsam? Im Gewissen, im Denken, in der Wissenschaft und in der Kunst gibt es kein Interesse und keine Kompromisse, auch keine erhabenen, nationalen, heiligen oder sonstigen. Für alles gilt: Entweder ist es unbedingt, oder es ist nicht. Entweder ist es kompromisslos und interesselos, oder es ist nicht. Es nimmt, Gott sei es gedankt, keinerlei Rücksicht auf Zugehörigkeit, Interesse, Bedürfnisse, Verwandtschaft, Heimat… Sowohl dem Gewissen, als auch dem richtigen Schlussfolgern, als auch wissenschaftlichen Tatsachen, und Kunstwerken wohnt eine unabhängige, unbestechliche Gesetzmäßigkeit inne. Entweder ist diese Gesetzmäßigkeit am Werk, oder sie ist es nicht – Nachahmungen, gute Absichten, lärmende Rhetorik und höhere Interessen gelten hier nicht – entweder es gibt ein Gewissen, oder es gibt keines, entweder es gibt Logik und Wahrheit, oder es gibt keine, entweder es gibt die Kunst, oder es gibt sie nicht.

Sreten Ugričić, Elf Thesen über Bach. In: Briefe aus Belgrad, hg. v. Annemarie Türk. Wien 2011, S. 93-130.


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Words by Sreten, voice Melinda Nadj Abonji, music Balts Nill.

“A warning to the police from a library terrorist: in the hall of the CCB there will be an explosion – not of a bomb, but of all of us present. And we shall win. Because, as you know: whoever attacks writers with a nightstick is defeated and hated from the start; while the one who reads – wins!”