Sonnenschein. Von Daša Drndić

Bei einem Treffen von italienischen, österreichischen und eidgenössischen Mathematiklehrern 1969 in Zürich lernte Haya Tedeschi Elvira Weiner aus Zürich kennen. Bei der Konferenz sprach man nicht nur über Mathematik, man sprach auch über die Vergangenheit. Man spricht immer über die Vergangenheit, um sich besser kennen zu lernen, so ist das eben. Gespräche über die Vergangenheit haben Ähnlichkeit mit einer Beichte, sie verschaffen eine Erleichterung, nach der die Seele wie befreit auf Engelsflügeln in die Jetztzeit zurückkehrt.
“Die Straße ist schön, aber ich mag Bahnhöfe nicht, Bahnhöfe können schrecklich sein”, sagte Haya Tedeschi zu Elvira Weiner, als die beiden am freien Nachmittag die Bahnhofstraße entlangschlenderten und die Schaufenster betrachteten. “Allerdings”, sagte Elvira Weiner, und dann noch: “Gehen wir doch ins Café.”
“Ich war sechzehn Jahre alt”, erzählte Elvira Weiner, “zu Hause wurde viel über Güterzüge geredet, über die Kohle, die mit der Eisenbahn aus Deutschland über die Schweiz durch den Gotthardtunnel an Italien geliefert wurde, darüber wurde viel geredet, wenn auch meistens hinter vorgehaltener Hand, es war ein offenes Geheimnis, alle wussten davon. Eines Tages sagte meine Mutter, die verlangen von der Schweizer Regierung, einen Zug mit Menschen drin durch den Gotthard nach Deutschland zu lassen, das sagte meine Mutter”, erzählte Elvira Weiner, “und dann sagte sie noch, die Leute vom Komitee haben mich gefragt, ob ich helfen will, es heißt, es kommen etliche Menschen, und wir wissen nicht, was das für Menschen sind oder wohin sie fahren, sagte meine Mutter”, erzählte Elvira Weiner, “aber das stimmte nicht”, erzählte Elvira Weiner, “meine Mutter hat es gewusst, sie wusste, was das für Menschen waren. Komm schon, mach mit, es ist eine humanitäre Aktion, die Züge halten in Zürich und wir verteilen Decken, Kaffee und Suppe an die Reisenden, haben die vom Komitee mir gesagt, erzählte meine Mutter”, erzählte Elvira Weiner, “wir hatten das für ein Hirngespinst gehalten, wir haben die Geschichte nicht glauben wollen, wir glaubten es nicht, 1944 war ich sechzehn Jahre alt, aber es wurde immer mehr darüber geredet, und eines Tages sagte meine Mutter zu meinem Vater: Ich habe mich nun doch gemeldet und werde helfen, sagte sie”, erzählte Elvira Weiner, “mein Vater war dagegen, sie solle sich nicht einmischen, sagte er zu meiner Mutter, verstrick dich nicht in die Geschichte, sagte er, aber meine Mutter sagte, ich muss es tun, ich muss es einfach tun”, erzählte Elvira Weiner, “später hörten wir von einem Abkommen zwischen der deutschen und der schweizerischen Regierung, auch das Schweizer Rote Kreuz hat mitgemischt, durch das Abkommen konnten diese Züge durch den Sankt Gotthard fahren und mussten nicht über den Brenner, normalerweise fuhren die Züge über den Brenner, aber der Brenner war wegen Schnee geschlossen, deswegen konnten sie die Leute nicht über den Pass fahren, Italiener und Zigeuner, ja, und Zigeuner, die durch Deutschland und noch ein Stück weiter fahren sollten, und dann haben die Deutschen entschieden, die Kohlewaggons zu nehmen, die sollten nicht leer zurückfahren, und da haben sie Italiener und Zigeuner hineingestopft, und dann hat das Schweizer Rote Kreuz gesagt, in Ordnung, die Waggons dürfen in Zürich nachts halten, in Ordnung, wir sind einverstanden, nachts, sagte das Schweizer Rote Kreuz, dann bringen unsere Leute den Reisenden Decken und heißen Kaffee und heiße Suppe, damit sie bequemer reisen können, sagte das Schweizer Rote Kreuz”, erzählte Elvira Weiner. “Mama ist in die Stadt gegangen und hat bei den Leuten Kaffee gesammelt, es gab nicht viel Kaffee, Kaffee war rationiert, und Mama sagte, dann gebt Erbsen, Erbsen sind nicht rationiert, Erbsen können wir essen, so viel wir wollen, unbegrenzt, trotzdem bekam sie nicht so viel”, erzählte Elvira Weiner, “und dann haben wir aus diesen Erbsen Suppe gekocht mit ein paar Karotten und Kartoffeln, ich meine schon, doch ja, mit Kartoffeln. So sind wir bei den Leuten herumgegangen, und dann sagte meine Mutter, komm doch mal mit zur Versammlung, und ich bin mitgegangen, sie fand in einer Schule statt, ich weiß nicht mehr, welche Schule es war, und auf dieser Versammlung wurde gesagt, was wir machen sollten, wenn die Züge ankamen. Auf der Versammlung war eine Frau vom Roten Kreuz, sie sagte, die Züge kämen nachts, wir sollten Taschenlampen mitbringen, bringen Sie unbedingt Taschenlampen mit, sagte sie, organisieren Sie sich in Vierergruppen, sagte sie, und verteilen Sie sich auf die markierten Stellen am Bahnsteig, sagte die Frau vom Roten Kreuz”, erzählte Elvira Weiner, “und alles, was Sie sammeln können, die Decken und den ganzen Kaffee und die Suppe bringen Sie einen Tag früher an den Sammelplatz, sagte die Frau vom Roten Kreuz”, erzählte Elvira Weiner, “und zum Bahnhof bringen Sie bitte Ihre Gasmasken mit, sagte die Frau vom Roten Kreuz, ich wusste nicht, warum wir Gasmasken haben mussten”, erzählte Elvira Weiner, “aber wir alle hatten Gasmasken, Gasmasken wurden häuserweise verteilt, wir alle hatten Gasmasken für alle Fälle, aber wir haben sie nie benutzt, die Schweiz war neutral. Und meine Mutter hat alles gemacht, was die Frau vom Roten Kreuz gesagt hatte, sie brachte die Decken und den Kaffee und die Suppe vorher zur Sammelstelle, und dann kam der Tag. Wir hatten kein Auto, und es gab ständig Verdunklung, und wir fuhren mit der Trambahn und trugen unsere Gasmasken und bekamen gesagt, wir sollten jeweils eine Kette bilden, dann würden sie uns die Kessel mit dem Kaffee und der Suppe hinstellen, und ihr gebt den Kaffee und die Suppe in Näpfe und gebt sie weiter, sagten die vom Schweizer Roten Kreuz, und einer steht direkt am Waggon, sagten sie”, erzählte Elvira Weiner. “Und wir kamen da an, das war so um neun Uhr abends, wir waren zu viert, eben eine Vierergruppe, meine Tante, meine Mutter, unsere Haushaltshilfe und ich, und meine Mutter stand ganz vorn, es gab insgesamt glaube ich zehn solcher Teams, ja, zehn, und wir waren in den entsprechenden Abständen verteilt, und dann warteten wir. Alles war vorbereitet, und wir warteten, und dann brachten sie diese großen Kessel mit heißer Suppe, ich weiß nicht, wo sie sie gekocht haben, oder nein, ich weiß es, in den Räumen der Jüdischen Gemeinde, das hat meine Tante gesagt, und dann kamen die Kessel, ich war für die Suppe zuständig, ich sollte die Suppe in Blechnäpfe gießen, in Portionen aufteilen. Und so haben wir gewartet”, erzählte Elvira Weiner, “und dann haben wir sie gesehen, die Waggons, wie sie in den Bahnhof einfuhren, ganz langsam, und schließlich kamen sie zum Stehen. Jemand hat die Türen von außen geöffnet, denn sie waren verriegelt, die Waggons, jemand hat die Riegel aufgeschoben und die Türen geöffnet, und wir standen da und warteten, und dann kam ein Mann und stand eine Ewigkeit da, und dann gab er uns mit dem Kopf ein Zeichen, dass wir anfangen könnten, und dann habe ich angefangen, die Suppe einzufüllen. Es war unangenehm, ich hatte die Taschenlampe auf den Boden gelegt, die Suppe war heiß, kochend heiß, dann reichte ich den Napf unserer Haushaltshilfe, sie hieß Ida, Ida Ban, und die gab die Suppe an meine Tante weiter, die Tante gab sie meiner Mutter und die gab sie dem Mann, der sich umdrehte und die Portion jemandem im Zug reichte, die Portion verschwand, also gab es in diesem Zug Menschen. Das dauerte so eine halbe Stunde, und die Atmosphäre war sehr angespannt, man hatte uns gesagt, wir dürften nicht reden, dürften auf keinen Fall pfeifen oder sonst etwas, die Situation war sehr, sehr angespannt, ich weiß noch, dass ich dachte, was wohl passieren würde, wenn die Leute herauskämen, wenn sie aus den Waggons springen würden, was dann passieren würde, und ich versuchte mir vorzustellen, wie es im Waggon aussah, ob die Leute Betten hatten, ob es Stühle gab, ich fragte mich, ob sie in diesen Waggons Öfen hatten, denn es war schrecklich kalt, und ich fragte mich, wenn sie jetzt herauskämen, was wir machen würden, ob wir sie wieder in die Waggons schieben müssten, oder ob wir sie hier in Zürich unterbringen müssten, bei uns zu Hause, und ob ich dann mit jemandem das Bett teilen müsste, mit einem Mädchen in meinem Alter, denn meine Mutter hat damals Juden zu uns eingeladen, Flüchtlinge, die in verschiedenen Lagern lebten, sie hat sie fürs Wochenende eingeladen, denn da hatten die Flüchtlinge Ausgang, übers Wochenende, und dann schlief immer eine bei mir im Zimmer, also dachte ich, vielleicht würde wieder jemand in mein Zimmer einziehen, nur eben für länger. Aber es geschah nichts. Als die Suppe alle war”, erzählte Elvira Weiner, “als der Kaffee und die Suppe alle waren und wir keine Decken mehr hatten, sind wir nach Hause gefahren, mit der Tram, wie auf dem Hinweg, wir mussten uns beeilen, um die letzte Tram nicht zu verpassen. Der Zug aber blieb im Bahnhof stehen”, erzählte Elvira Weiner, “die Türen der Waggons wurden wieder verriegelt. Dann erschien in der Zeitung ein Artikel, die Leute, die in Bahnhofsnähe wohnten, hatten sich über den Lärm beschwert”, erzählte Elvira Weiner, “denn die in den Waggons riefen, lasst uns raus, lasst uns gehen, sie haben geschrien und von innen gegen die Wände geklopft, so laut wie möglich, und die Leute am Bahnhof konnten nicht schlafen, und dagegen haben sie sich gewehrt, und dann wurde vorgeschlagen, dass die Transporte beim Landesmuseum Halt machten, weit hinter dem Hauptbahnhof, bei der Museumsstraße, denn dort sei keine Wohnbebauung, und die Transporte würden niemanden stören, das wurde vorgeschlagen”, erzählte Elvira Weiner, “ich nehme an, wir wollten nicht wissen, was da vorgeht, wir wussten, die Leute fahren nach Deutschland, wir wussten, dass Juden dabei waren, wir wussten von den Konzentrationslagern, und wir haben ihnen geholfen, und zum Dank brüllen sie die ganze Nacht, so haben wir gedacht”, erzählte Elvira Weiner, “wir geben ihnen Decken und Kaffee und Suppe, warum machen sie jetzt so einen Lärm, das ist nicht anständig, das haben wir gedacht, sie machen Lärm, und wir können nicht schlafen, so haben die Anwohner geschrieben, wissen Sie, es war Krieg”, erzählte Elvira Weiner, “und wir hatten alle unsere eigenen Sorgen, und das quält mich heute”, erzählte Elvira Weiner, “wenn wir die Leute nicht im Stich gelassen hätten, wenn die Regierung das Abkommen gebrochen hätte, wenn wir gesagt hätten, wir lassen nicht zu, dass sie nach Deutschland gefahren werden, vielleicht wäre nach diesem Transport keiner mehr gekommen, aber es sind noch etliche gekommen, es waren viele Transporte, acht, vielleicht auch zwölf, und als ich noch einmal mit Mutter hingegangen bin, standen die Waggons weit weg, beim Schweizerischen Landesmuseum, am letzten Bahnsteig, alles wiederholte sich, Decken, Kaffee, Suppe, das Klopfen und die Schreie, und dann sagte meine Mutter, du kannst nicht mehr mit zum Bahnhof, du musst in die Schule, du darfst nicht so spät ins Bett, du musst ausgeschlafen sein. Ich weiß nicht, wer alles dort geholfen hat, wir durften nicht darüber sprechen, es war verboten, darüber zu reden”, erzählte Elvira Weiner, “außerdem war es dunkel, wir hatten nur unsere Taschenlampen, es war sehr dunkel, aber ich erinnere mich, als sie den Waggon öffneten, sah ich in der Tür einen Mann mit einem bleichen Gesicht, einem schrecklich bleichen Gesicht in dieser Dunkelheit.
Bei der Versammlung hatte ich ein paar Bekannte gesehen, Gleichaltrige, mit einigen war ich schon Skifahren gewesen, die Erwachsenen kannte ich nicht, meine Tante kannte sie, ich nehme an, es waren Juden, ich kannte einen Mann, er war Rechtsanwalt, er sagte ‘Hallo Kleine’ zu mir, beim Bahnhof hat er so getan, als kenne er mich nicht. Das Schweizer Rote Kreuz hat Kontakt zu Juden aufgenommen, das Schweizer Rote Kreuz hat, glaube ich, heimlich Kontakt zu den Juden aufgenommen, ich glaube, die anderen Leute wussten von diesen Transporten nichts, sie hatten keine Ahnung, und das Schweizer Rote Kreuz dachte, es hätte eine Geste gemacht, eine große humane Geste, so hat sich das Schweizer Rote Kreuz übrigens auch verhalten, es führte sich wie ein Retter auf, als hätte das Schweizer Rote Kreuz die Leute mit den Decken und dem Kaffee und der Suppe gerettet, ich weiß nicht, ob das Schweizer Rote Kreuz je daran gedacht hat, die Züge nicht weiter fahren zu lassen, die Leute zu befreien, ich weiß es nicht”, erzählte Elvira Weiner.
“Wir wussten nichts, wir wussten nur, dass mit diesen Zügen Juden und Zigeuner nach Deutschland fuhren und von da weiter, wohin, wussten wir nicht, und dass sie durch die Schweiz mussten, weil der Brenner zu war. Das hatte mir Mama gesagt, und bei der Versammlung in der Schule hatte jemand gefragt, warum müssen die ausgerechnet durch die Schweiz fahren? Niemand war begeistert, dass die Züge durch die Schweiz fuhren, keiner fand es toll, dass die Schweiz da mitmachte, denn die Schweiz behauptete, dass die Schweiz ein neutrales Land sei, aber es hat sich herausgestellt, dass sie nicht neutral war, vor allem die Schweizer Banken nicht, auch wenn das erst noch bewiesen werden muss”, erzählte Elvira Weiner. “Auf dieser Versammlung sagte jemand, vielleicht sind es politische Gefangene, aber ich wusste, meine Familie wusste, wir wussten, nein, wir nahmen an, dass diese Leute in Konzentrationslager kamen, wir wussten von den Konzentrationslagern, wir wussten von verschiedenen Lagern, Dachau, Bergen-Belsen, Theresienstadt, Theresienstadt war ein gutes Lager, dort wurde nicht gemordet, wir hätten etwas tun können, damals habe ich nicht so gedacht, alle dachten, die Decken und der Kaffee und die Suppe, das sei genug. Ich war sechzehn, ich bin zur Schule gegangen, wir haben da gestanden, als die Züge langsam in den Bahnhof einfuhren, wir haben gewartet, bis die Türen aufgemacht wurden, und ich hatte gedacht, was passiert jetzt, was, wenn die Leute ausbrechen, wenn sie den Mann in Uniform wegstoßen und alle aus dem Waggon springen, was machen wir dann, befördert sie jemand zurück in den Waggon, ich wollte, dass die Leute befreit würden, aber ich wollte nicht, dass sie hier bei uns flohen, das war wie im Zoo, da bedauerst du die armen Raubkatzen auch, aber du willst nicht, dass sie gerade dann freikommen, wenn du sie betrachtest, die soll jemand in der Wildnis freilassen, denkst du”, erzählte Elvira Weiner. “Später, damals nicht, aber später habe ich mich gefragt, warum ich gerettet wurde und andere nicht, aber heute weiß ich, dass niemand gerettet wurde. Als der Krieg vorbei war, wollte meine Mutter nicht darüber reden, sie wollte es vergessen, ich fragte sie einmal, was denkst du ist aus den Leuten in dem Zug geworden, und sie sagte, o Elvira, das waren komische Zeiten. Das ist Ende 1943, Anfang 1944 passiert.
Es war sehr kalt. Später lernte ich Elena Dreher kennen, nicht zufällig, es gibt keine Zufälle, ich habe Nachforschungen angestellt, später, als meine Mutter gestorben war, da habe ich Nachforschungen angestellt. Elena Dreher war Partisanin”, erzählte Elvira Weiner. “Elena Dreher erzählte, dass sie versucht haben, die Güterzüge aus dem Hinterhalt vor der Schweizer Grenze zu stoppen, sie erzählte mir, dass die Nazis die Leute in den Dörfern und Städten zusammengerufen und ihnen Zigaretten angeboten hätten, und dann hätten sie sie verhaftet und in die Züge gesteckt und nach Deutschland in Arbeitslager geschickt, manche Züge hätten sie abfangen können, ein paar Leute hätten sie retten können, sagte mir Elena Dreher”, erzählte Elvira Weiner. “In den Archiven gibt es Dokumente, ich habe nachgeforscht, in den Archiven kann man nachlesen, dass der Gotthard 1943 und 1944 stark frequentiert war, alle zehn Minuten fuhr ein deutscher Zug durch die Schweiz nach Italien, und dann habe ich mich in die Archive des Roten Kreuzes gesetzt, aber in den Archiven des Roten Kreuzes gibt es keine einzige Zeile über die Züge, die über Zürich gefahren sind, keine Zeile über die organisierte Hilfe, über die Decken und den Kaffee und die Suppe, nichts über das bisschen Hilfe für die italienischen Gefangenen, die im Grunde nicht der Rede wert war, vielleicht gibt es deswegen nichts darüber, als hätte es nicht stattgefunden”, erzählte Elvira Weiner. “Aber ich habe woanders ein Dokument gefunden”, erzählte Elvira Weiner, “einen Zettel, auf dem stand, dass eine Vertreterin des Schweizer Roten Kreuzes im Januar 1944 Kontakt zum deutschen Kommando in Norditalien aufgenommen hat, zu SS-Größen wie Globoenik und Rainer, um die Hilfsleistungen an die italienischen Staatsbürger zu koordinieren, dann habe ich in den Archiven der Schweizer Bundesbahn gesucht”, erzählte Elvira Weiner, “aber nichts gefunden.
Bei der Schweizer Bundesbahn wurde mir gesagt, dass das Archiv 1960 umgezogen sei, und da wären sämtliche Angaben über Fahrpläne und Zugbewegungen während des Krieges vernichtet worden, vernichtet”, erzählte Elvira Weiner. “Am schlimmsten war, dass diese Waggons verplombt waren, sie konnten nur von außen geöffnet werden”, erzählte Elvira Weiner, “das ist vielleicht das Schlimmste.”
“Ich habe auch Bahnhofsalpträume, Bahnhofsalpträume, Bahnhofsalpträume, Alpträume”, wiederholt Haya, während sie in dem roten Korb kramt, dann findet sie ein kleines Foto, das sich 1944, man weiß nicht wie, man weiß nicht wie, wie nur?, zwischen die Bilder geschlichen hat, die ihr der SS-Untersturmführer Kurt Franz geschenkt hat. “Da ist es”, sagt sie.

Daša Drndić: Sonnenschein. Fraktura Verlag, April 2007.